Tumbleweed
Weit draußen, wo selbst der Horizont staubig und trocken wirkt und wo der Wind mehr Geschichten als Antworten bringt, liegt Tumbleweed – einst die bedeutendste Handelsstadt New Austins. Bevor die Eisenbahn kam, führte jeder Weg hierher: Händler, Glücksritter und Glücklose zogen durch die sandigen Straßen, um Waren umzuschlagen, Vorräte zu bunkern oder sich mit einem Flachmann Mut, Glück und Kraft für die nahe Mine im Westen anzutrinken. Die Stadt lebte – laut, schmutzig, rastlos. Die Minengesellschaft, die dort unterhalb der Felsen schürfte, galt als eine der größten im Territorium. Ganze Wagenladungen Erz rollten über die heißen Straßen – bewacht, begehrt, manchmal auch überfallen. Der Goldrausch füllte nicht nur Taschen, sondern auch Gräber. Tumbleweed blühte auf im Schatten der Pickel und Schaufeln – eine Oase für die einen, ein Sündenpfuhl für die anderen. Man sagt, wer in der Mine arbeitete, konnte am selben Abend sein ganzes Lohnstück im Badehaus der Stadt wieder versenken – zusammen mit seinem Verstand. Doch dann kam die Bahnlinie. Sie hielt nicht in Tumbleweed, sondern in Armadillo – und mit ihr zogen die Menschen, das Geld, die Händler und die Zukunft weiter. Was blieb, war ein leerer Saloon, ein General Store voller verdrobener Waren, ein überdimensioniertes Sheriffbüro und eine Stadt, die sich langsam selbst vergaß.
 
Den leeren Raum füllten andere. Männer ohne Namen, Frauen mit zu vielen, dunkle Gestalten mit leichten Fingern und schweren Revolvern. Es ist kein Geheimnis, dass sich in Tumbleweed immer wieder Gesetzlose niederließen – die Stadt war leerer, die Nachbarn stumm, und der Sheriff? Oft und am Ende vollends verschwunden. Der Totengräber am Friedhofseingang erzählt jedem, der ihm zuhört – oder ihm einen Taler gibt – von Mr. Milton Armstrong. Auf der Flucht, heißt es, sei er hierhergekommen, habe das Badehaus mit einer Feier entweiht, wie sie der Westen nie wieder gesehen hat. So viel Whiskey, Zigarren und Geld seien im Umlauf gewesen, dass selbst die Pferde mittranken – und daran verendeten. So plötzlich, wie er in Tumbelweed aufgetaucht war, verschwand er auch wieder und zwischen den Resten seiner Ausschweifungen kehrte wieder die alte Stille ein. Heute ist Tumbleweed kaum mehr als ein Gerippe seiner selbst. Türen schlagen im Wind, Staub liegt wie ein Leichentuch über der Hauptstraße und wer hierher kommt, der hat entweder nichts mehr zu verlieren – oder hofft, dass ihn hier niemand findet. Tumbleweed war einmal die Zukunft. Jetzt ist es nur noch eine traurige Vergangenheit, die nicht ruhen will.